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Das Singener MAC Museum Art & Cars stellt Sabine Beckers blaue Bilder aus. SÜDKURIER-Redakteur Siegmund Kopitzki laudierte. Hier ein Auszug seiner Rede erschienen am 4. Januar 2016 im Südkurier:

„Sie malt blau. Blau ist laut Wikipedia nüchtern betrachtet der Farbreiz, der wahrgenommen wird, wenn Licht mit einer spektralen Verteilung ins Auge fällt, bei der Wellenlängen im Intervall zwischen 460 und 480 mm dominieren. Licht mit dieser Eigenschaft kann auch als Körperfarbe remittiert sein. Demnach gibt es zwei blaue Grundfarben: Violettblau und Cyanblau. (…)

Soweit der Duden der Neuzeit. Das ist Trockenfutter. Es bringt uns, was die Bilder von Sabine Becker angeht, nicht wirklich voran. Wir lesen daraus allenfalls: Blau ist nicht nur blau, auch nicht bei dieser Künstlerin. Und auch nicht sonst wo. Selbst der Himmel ist sich uneinig darin, welches Blau das legitime ist. Tag für Tag liefert er neue Versuchsanordnungen. Der Himmel als Maler – immer noch konkurrenzlos.

Gleichwohl ist diese andauernde Metamorphose kein intellektuelles, kein künstlerisches Manöver, wie bei Sabine Becker, sondern ein physikalischer Prozess. Ein faszinierender dazu. Und wenn der Himmel einmal nicht blau ist: Blauartig ist er immer. Das ist sein Naturzustand. Ein globales Phänomen, das mit Vorstellungen von Transzendenz, Unendlichkeit, Distanz oder Sehnsucht verbunden ist. Das Blau ist – so gesehen – Medium und Enigma. (…)

Blau ist aber auch eine Farbe, die auf den Menschen meist kalt wirkt. Umso erstaunlicher das Ergebnis einer Umfrage: Nahezu 40 Prozent der Deutschen nannten Blau als ihre Lieblingsfarbe. Wir sind in der Jetztzeit – und rücken dem blauartigen Kosmos – und Statement – von Sabine Becker wieder etwas näher. Denn längst hat sich die Moderne dieses Pigment untertan gemacht. Warum nur? Ich spekuliere: Die Farbe des Himmels und des Meeres steht auch für Entgrenzung. Künstler und Künstlerinnen haben seit jeher dafür ein Faible. (…) Aber erst die Kunst des 20. Jahrhunderts hat die pantheistischen und anderen Spekulationen der blauen Protagonisten auf die abstrakte Materialität der Farbe gebracht. Pablo Picasso zauberte eine ganze blaue Periode lang – es war nicht sein stärkster Flirt. Vermutlich weil Treue, Sicherheit, Konservatismus und Ruhe, eben jene Qualitäten, die Psychologen dem Blau zuschreiben, nicht seiner mediterranen, etwas wilden Mentalität entsprachen.

Andere Künstler folgten. Der Franzose Yves Klein – Sabine Becker kannte ihn nicht, als sie die weite blaue Welt für sich entdeckte – wählte für sein monochromes Universum Ultramarin. (…) Der Hyperaktive führte die Entleerung des Bildes über die Monochromie hinaus fort bis zur vollkommenen Auslöschung sensueller Erfahrung. Ein radikaler Ansatz – aber das ist eine andere Geschichte. Er führt weg von Sabine Beckers monochromen, neuerdings von wellenartigen Linien, von Gittern oder von Bomben-trichter ähnelnden „Inseln“ durchzogenen Vorschlägen, die – im Unterschied zu Yves Klein – den Betrachter bewusst in den blauen Farbraum ziehen. (…)

Sabine Beckers Liebesverhältnis zur Farbe Blau – Kobaltbau (und nicht Indigo oder Azur und auch nicht Ultramarin), das sie schichtweise, in einem komplizierten Prozess auf Faserplatten oder auf Packpapier bannt, mit dem Mörser, also knallhart –, dauert nun schon mehr als 20 Jahre. Und ein Ende der Liaison ist nicht in Sicht. Aber warum auch? Kein Bild gleicht dem anderen; jedes berichtet von einer neuen Erfahrung. Jedes bedeutet aber auch einen Bändigungsprozess.

Dass an diesem Gelübde die See mitverantwortlich sein könnte – Sabine Becker ist in Lübeck geboren und dort aufgewachsen –, oder der See – die Künstlerin lebt in Konstanz –, ist eine nahe liegende Verknüpfung, aber doch nur halbwahr. Es gibt von ihr keine Bodenseemalerei. Kein einziges Aquarell. Es gibt nur blaue Bilder, ohne Titel übrigens, gerahmt in mattschwarzes Eisen. (…)

Wer den See in ihre Bilder hineinmalt, der darf das. Aber er muss wissen: der See interessiert die Künstlerin nicht. Auch nicht seine Ränder. Nicht das reale Leben. Es materialisiert sich an keiner Stelle in diesen Blauformeln. Es gibt nur Farbräume, nur Strukturen, jetzt etwas mehr Muster und Linien als in den ersten blauen Schaffensjahren. Es ist eine Welt ohne Eigenschaften. Gemalte Ungewissheit. Einfach blau. Die Farbe steht – ja, auch – für das Unsagbare. (…)

Auf der anderen Seite – es gibt kein Stillleben, keine wirkliche Landschaft, kein Porträt. Keine Genremalerei. Das ganze, über Jahrtausende angesammelte Arsenal, das Kunst bietet: Abgehakt. Versenkt in der unendlichen Tiefe des Blaus. In ihrem Fall ist das kein Verlust. Der Gewinn ist die Reduktion! Die Einfachheit ist der Olymp für viele große Künstler. Ich denke wiederum an Picasso, aber auch an Paul Klee, Mark Rothko oder – an Claude Monet.

Er ist der postromantische Blumenfreund schlechthin. Was viele Maler damals umtrieb, und was wir heute den Bildern von Sabine Becker ablesen, das gleichmäßige „all-over“, das kein Oben und Unten, kein Bildzentrum und keine abschließenden Ränder kennt, der Primat der Farbe vor jeder artikulierten Form, die Ausbildung einer von Energien bewegten, vibrierenden Malfläche – das alles war schon im unergründlichen Wasser des Seerosenteichs von Giverny, wie ihn Monet gemalt hat, zu finden. Was das ist? Kunst, nichts als Kunst.“

Die Sonderausstellung „Blau“ von Sabine Becker ist noch bis 28. März 2016 im MAC Museum Art & Cars zu sehen.